deutsch - der funfte berg - paulo coelho

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  • 8/14/2019 Deutsch - Der Funfte Berg - Paulo Coelho

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    Paulo Coelho

    Der Fnfte Berg

    Roman

    Aus dem Brasilianischen vonHaralde Meyer-Minnemann

    s&c by anybody

    Diogenes

    In Der Fnfte Berg erzhlt Paulo Coelho in einfacher, moderner Sprache dieGeschichte des Propheten Elia, die wir alle kennen, so - wie wir sie nichtkennen. Er versetzt uns 3000 Jahre zurck ins Jahr 870 v. Chr., als Gott Eliabefahl, Israel zu verlassen und nach Phnizien ins Exil zu gehen. Damit ausdem Exil eine Heimat wird, mu zuerst eine Stadt untergehen, Elia sichverlieben und - mit und gegen seinen Gott - um seine Selbstbestimmungringen.(Backcover)

    ISBN 3 257 061641Titel der 1996 bei Editora Objetiva Ltda.,

    Rio de Janeiro, erschienenen Originalausgabe:>O Monte Cincoder AllmchtigeIch bin totUnd jetzt entdecke ich, wohinuns Gott nach dem Tod schickt: mitten ins Firmament.etwas

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    Der Herrscher ma seinen Worten keine groe Bedeutung bei,doch Isebel, die neben Ahab sa und aufmerksam zuhrte,stellte eine Reihe von Fragen. Elia berichtete ihr von der Vision,

    den rasenden Kopfschmerzen und da die Zeit wiestillgestanden htte, whrend er dem Engel zuhrte. Dabeikonnte er die Prinzessin aus nchster Nhe betrachten, berdie alle redeten. Sie war eine der schnsten Frauen, die er jegesehen hatte, mit langem schwarzen Haar, das ihr bis zu denHften des wohlgeformten Krpers fiel. Die grnen Augen indem braunen Gesicht blickten fest in Elias Augen. Er vermochteihren Ausdruck nicht zu deuten, noch konnte er ermessen,welchen Eindruck seine Worte auf Isebel machten.

    Als er den Palast verlie, war er berzeugt, seine Mission erflltzu haben und sich nun wieder seiner Arbeit in der Tischlereiwidmen zu knnen. Und er begehrte Isebel mit der ganzen Glutseiner 23 Jahre, so sehr, da er zu Gott betete, ihn dochdereinst eine Frau im Libanon finden zu lassen, weil sie dort soschn waren mit ihrer dunklen Haut und den geheimnisvollengrnen Augen.Elia arbeitete bis zum Abend und schlief dann friedlich. Am

    nchsten Morgen wurde er noch vor Sonnenaufgang vomLeviten geweckt. Isebel hatte den Knig davon berzeugt, dadie Propheten eine Gefahr fr Israel darstellten. AhabsSoldaten hatten Befehl erhalten, alle hinzurichten, die sichweigerten, ihrer gttlichen Mission zu entsagen.

    Allein Elia hatte keine Wahl: Er sollte auf jeden Fall gettetwerden.

    Zwei Tage lang hielten er und der Levit sich im Pferdestallsdlich von Gilead versteckt, whrend vierhundertfnfzig nabihingerichtet wurden. Dennoch war der grte Teil derPropheten, die sich selbst geielnd durch die Straen gezogenwaren und das Ende der Welt vorhergesagt hatten, zur neuenReligion bergetreten.

    Ein pltzliches Gerusch, dem ein Schrei folgte, ri Elia ausseinen Gedanken. Erschrocken wandte er sich seinemGefhrten zu.

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    Was ist passiert?

    Doch er erhielt keine Antwort. Der Levit fiel zu Boden. Ein Pfeilhatte ihm die Brust durchbohrt.

    Vor Elia stand ein Soldat und legte einen neuen Pfeil an seinenBogen. Elia blickte sich um: Alle Fenster und Tren in derStrae waren geschlossen, die Sonne strahlte am Himmel, eineBrise wehte vom Meer herber, von dem er schon so vielgehrt, das er aber nie gesehen hatte. Er dachte daran,wegzurennen, doch er wute, da er getroffen werden wrde,noch bevor er an der nchsten Straenecke angelangt war.>Wenn ich schon sterben mu, dann nicht durch einen Schu

    in den Rckens< dachte er.Der Soldat hob erneut den Bogen. Zu seiner eigenenberraschung regte sich in Elia weder Angst noch seinberlebenstrieb - nichts. Es war, als wre diese Szene schonseit langem vorbestimmt und als spielten beide, er und derSoldat, nur die Rolle in einem Drama, das ein anderergeschrieben hatte. Elia dachte an seine Kindheit, an dieMorgen und die Abende in Gilead, an die unfertigen Arbeiten in

    seiner Tischlerei, er dachte an seine Eltern, die nicht wollten,da ihr Sohn Prophet wrde. Er dachte an Isebels Augen undan Knig Ahabs Lcheln.Er dachte, wie dumm es doch war, mit kaum dreiundzwanzigJahren zu sterben, ohne je eine Frau geliebt zu haben.

    Die Hand lie die Sehne zurckschnellen, der Pfeil durchschnittdie Luft, flog sirrend an seinem rechten Ohr vorbei und bohrtesich in den staubigen Boden hinter ihm.

    Der Soldat spannte den Bogen abermals und zielte auf ihn.Doch anstatt den Pfeil abzuschieen, starrte er Elia in dieAugen.

    Ich bin der beste Bogenschtze in Ahabs Armee, sagte er.Sieben Jahre habe ich kein einziges Ziel verfehlt.

    Elia sah auf die Leiche des Leviten hinunter.Dieser Pfeil galt dir. Der Soldat hatte den Bogen gespannt,und seine Hnde zitterten. Elia war der einzige Prophet, der

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    gettet werden mute. Die anderen konnten zwischen Baal unddem Tod whlen.

    Dann vollende deine Arbeit.

    Er wunderte sich, wie ruhig er war. Er hatte sich den Tod in denNchten im Stall so oft ausgemalt und sah jetzt, da er unntiggelitten hatte. In wenigen Sekunden wrde alles vorbei sein.

    Ich kann nicht, sagte der Soldat, dessen Hnde noch immerzitterten, whrend der Bogen sich hin und her bewegte. Geh,verschwinde, denn ich glaube, da Gott meine Pfeile umgeleitethat und mich verfluchen wird, wenn es mir gelingt, dich zutten.

    Sowie Elia begriff, da er dem Tod entronnen war, kehrte seineTodesangst zurck. Noch gab es die Mglichkeit, einmal dasMeer zu sehen, eine Frau zu finden, Kinder zu haben, dieArbeiten in der Tischlerwerkstatt zu Ende zu fhren.

    Tte mich bitte schnell, sagte er. Jetzt bin ich ruhig. Wenndu lange wartest, werde ich um alles leiden, was ich verlierenwerde.

    Der Soldat blickte um sich, um festzustellen, ob irgend jemand

    Zeuge dieser Szene geworden war. Dann senkte er den Bogen,steckte den Pfeil in den Kcher und verschwand um die Ecke.Elia fhlte seine Beine unter ihm nachgeben. Pltzlich war dieAngst wieder da. Er mute aus Gilead verschwinden, umniemals mehr vor einem Soldaten stehen zu mssen, der mitseinem Pfeilbogen auf sein Herz zielte. Nicht er hatte seinSchicksal gewhlt, er hatte Ahab nicht aufgesucht, um sichspter vor den Nachbarn damit zu brsten, da er mit dem

    Knig sprechen durfte. Fr das Massaker unter den Prophetenwar er nicht verantwortlich - und auch nicht dafr, da an einemNachmittag die Zeit stehengeblieben und sich seine Werkstattin ein schwarzes Loch voller leuchtender Punkte verwandelthatte.Wie der Soldat schaute auch er um sich. Die Strae warmenschenleer. Er berlegte noch, ob er das Leben des Levitenretten knnte, doch dann kam die Angst wieder in ihm hoch,

    und bevor noch irgend jemand kam, floh Elia.

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    Er wanderte viele Stunden, schlug Wege ein, die langeniemand gegangen war, bis er an das Ufer des Baches Krithgelangte. Er schmte sich seiner Feigheit, doch er war auch

    froh, noch zu leben.Er trank ein wenig vom Wasser, setzte sich, und erst da wurdeihm seine Lage bewut: Sptestens morgen mte er etwasessen, doch in der Wste wrde er kaum Nahrung finden.

    Er erinnerte sich an die Tischlerei, an die Arbeit so vieler Jahreund da er dies alles aufgeben mute. Mit einigen seinerNachbarn war er befreundet, aber auf sie zhlen konnte ertrotzdem nicht. Die Nachricht von seiner Flucht wrde sich in

    der Stadt wie ein Lauffeuer verbreiten und alle wrden ihn dafrhassen, da er entkommen war und die wahren Mnner desGlaubens zu Mrtyrern machte.

    Alles, was er bisher getan hatte, war zerstrt. Und nur weil erglaubte, dadurch Gottes Willen zu erfllen. Morgen oderbermorgen, in den nchsten Wochen und Monaten, wrdendie Kaufleute aus dem Libanon an seine Tr klopfen, und

    jemand wrde ihnen sagen, da der Besitzer geflohen sei, der

    Schuld sei am Tod vieler unschuldiger Propheten. Vielleichtwrden sie ihnen auch sagen, da er versucht habe, die Gtterzu zerstren, die Himmel und Erde schtzten. Bald wrde dieGeschichte ber Israels Grenzen hinausdringen, und dannwrde er nie eine Frau heiraten, die so schn war wie dieFrauen aus dem Libanon.

    >Aber es gibt doch Schiffe.Dieser Vogel wei, da ich hier Hungers sterben werdeEr ernhrt seine Beute, um spter ein ppigeresMahl zu haben.Gesprch< mit dem Vogel wieder auf.

    Wer bist du? fragte er den Vogel.Ich bin ein Mann, der Frieden gefunden hat, antwortete Elia.Ich kann in der Wste leben, selbst fr mich sorgen und dieunendliche Schnheit von Gottes Schpfung betrachten. Ichhabe herausgefunden, da ich eine Seele in mir habe, diebesser ist, als ich dachte.Die beiden jagten noch mehr als einen Mond lang zusammen.Als eines Nachts seine Seele von Trauer erfllt war, beschlo

    er erneut zu fragen:Wer bist du?

    Ich wei es nicht.

    Ein weiterer Mond starb und wurde am Himmel wiedergeboren.Elia fhlte, da sein Krper jetzt strker war, sein Geist klarer.In dieser Nacht wandte er sich an den Raben, der wieder aufseinem gewohnten Zweig sa. Und er wiederholte die Frage,die er vor einiger Zeit schon einmal gestellt hatte.

    Ich bin ein Prophet. Ich habe einen Engel gesehen, whrendich arbeitete, und ich kann nicht an dem zweifeln, was ich zutun in der Lage bin, selbst wenn die Menschen das Gegenteilbehaupten. Ich habe ein Massaker in meinem Landhervorgerufen, weil ich die Geliebte meines Knigsherausgefordert habe. Ich bin in der Wste - wie ich vorher ineiner Tischlerwerkstatt war -, weil meine Seele mir gesagt hat,da ein Mensch verschiedene Etappen durchlaufen mu, bevor

    er sein Schicksal erfllen kann.

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    Ja, jetzt weit du, wer du bist, meinte der Rabe.

    Als Elia in jener Nacht von der Jagd zurckkam, wollte er einwenig Wasser trinken. Und da sah er, da der Bach Krith

    vertrocknet war. Doch er war so mde, da er beschlo zuschlafen.Im Traum erschien ihm sein Schutzengel, den er so lange nichtmehr gesehen hatte.Der Engel des Herrn hat mit deiner Seele gesprochen, sagteder Schutzengel, und er befahl dir: Geh weg von hinnen undwende dich gegen Morgen und verbirg dich am Bach Krith, dergegen den Jordan fliet; und sollst vom Bach trinken; und ich

    habe den Raben geboten, da sie dich daselbst sollenversorgen.

    Meine Seele hat es gehrt, sagte Elia im Traum.Dann wach auf, denn der Engel des Herrn bittet mich, da ichmich entfernen mge, und will mit dir sprechen.Mit einem Satz sprang Elia auf. Was war geschehen?

    Obwohl es Nacht war, erfllte sich der Ort mit Licht, und derEngel des Herrn erschien.

    Was hat dich hierher gefhrt? fragte der Engel.Du hast mich hierhergefhrt.

    Nein. Isebel und ihre Soldaten sind der Grund fr deine Flucht.Vergi das nie, denn deine Mission ist es, Gott, deinen Herrn,zu rchen.Ich bin ein Prophet, weil du vor mir stehst und ich deineStimme hre, sagte Elia. Ich habe viele Male die Richtung

    meines Wegs gendert, weil alle Menschen dies tun. Doch ichbin bereit, nach Samaria zu gehen und Isebel zu zerstren.

    Du hast deinen Weg gefunden, doch du kannst nichtszerstren, solange du nicht gelernt hast, etwas aufzubauen. Ichbefehle dir: Mach dich auf und gehe gen Zarpat, welches beiSidon liegt, und bleibe daselbst; denn ich habe daselbst einerWitwe geboten, da sie dich versorge.

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    Am nchsten Morgen suchte Elia den Raben, um sich von ihmzu verabschieden. Aber zum ersten Mal, seit Elia am Ufer desBaches Krith angekommen war, blieb der Vogel aus.

    Elia war tagelang unterwegs, bis er in das Tal gelangte, in demdie Stadt Zarpat lag, die ihre Bewohner Akbar nannten. Als eram Ende seiner Krfte angelangt war, sah er eine schwarzgekleidete Frau, die Brennholz sammelte. Es gab nur niedrigesBuschwerk, und daher mute sie sich mit kleinen trockenenZweigen begngen.

    Wer seid Ihr? fragte er.Die Frau blickte den Fremden an, ohne recht zu verstehen, was

    er sagte.Bringt mir einen Krug Wasser zum Trinken, sagte Elia. Undbringt mir auch ein Stckchen Brot.Die Frau legte das Brennholz ab, sagte aber nichts.

    Habt keine Angst, beharrte Elia. Ich bin allein, habe Hungerund Durst und keine Kraft mehr, um irgend jemanden zubedrohen.Ihr seid nicht von hier, sagte sie schlielich. Eurer Art zusprechen nach mt Ihr aus dem Reich Israel kommen. WennIhr mich besser kenntet, wtet Ihr, da ich nichts habe.

    Ihr seid Witwe. Trotzdem habe ich noch weniger als Ihr. WennIhr mir jetzt nichts zu trinken und zu essen gebt, werde ichsterben.

    Ein Mann sollte sich schmen, eine Frau um Unterhalt zubitten, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefat hatte.

    Tut, worum ich Euch gebeten habe, beharrte Elia, der kurzdavor war, ohnmchtig zu werden. Sobald es mir besser geht,werde ich fr Euch arbeiten.

    Die Frau lachte.

    Ihr habt mir gerade etwas Wahres gesagt: Ich bin Witwe, eineFrau, die ihren Mann auf einem der Schiffe ihres Landesverloren hat. Ich habe das Meer nie gesehen, doch ich wei,da es wie die Wste ist: Es ttet den, der es herausfordert.

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    Und sie fuhr fort: Jetzt aber sagt Ihr mir etwas Falsches: Sosicher wie Baal auf dem Fnften Berg lebt, so sicher ist, da ichnichts Gekochtes habe; ich habe nur eine Handvoll Mehl in

    einem Topf und etwas l in einem Krug.Elia sprte, wie der Horizont die Richtung wechselteund wie sich vor seinen Augen alles zu drehen begann. Daflehte er mit letzter Kraft:Ich wei nicht, ob Ihr an Trume glaubt, ja ich wei nichteinmal, ob ich selbst daran glaube. Und doch hat mir der Herrgesagt, da ich hierherkommen und Euch antreffen wrde. Erhat mit mir schon Dinge getan, die mich an Seiner Weisheit

    haben zweifeln lassen, jedoch nie an Seiner Existenz. Und derGott Israels hat mich gebeten, der Frau, der ich in Zarpatbegegnen sollte, zu sagen: Das Mehl im Rad soll nicht verzehrtwerden, und dem lkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag,da der Herr regnen lassen wird auf Erden.

    Bevor er ihr noch erklren konnte, wie so ein Wundergeschehen sollte, wurde Elia ohnmchtig.

    Die Frau blickte auf den Mann, der zu ihren Fen

    zusammengebrochen war. Sie wute, da der Gott Israels nurein Aberglaube war. Die phnizischen Gtter waren mchtiger,hatten ihr Land zu einem der geachtetsten der Welt gemacht.Doch sie war froh, denn fr gewhnlich war sie es, die umAlmosen bettelte, und heute geschah es zum ersten Mal seitlangem, da ein Mann sie brauchte. Das vermittelte ihr dasGefhl, stark zu sein. Es gab also Menschen, denen esschlechter ging als ihr.

    >Wenn mich jemand um einen Gefallen bittet, dann zeigt das,da ich auf Erden noch etwas wert binIch werdetun, worum er mich gebeten hat, nur um sein Leiden zu lindern.Auch ich wei, was Hunger heit und wie er die Seelezerstrt.Sie ging ins Haus und kam mit einem Stck Brot und einemKrug Wasser zurck. Sie kniete nieder, bettete den

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    Kopf des Fremden in ihren Scho und begann seine Lippen zubenetzen. Wenige Minuten darauf hatte er das Bewutseinwiedererlangt.

    Sie streckte ihm das Brot hin, und Elia a wortlos, blickte aufdas Tal, die Schluchten und die Berge, die schweigend zumHimmel wiesen. Er konnte das ganze Tal berblicken und sahdie roten Mauern der Stadt Akbar.

    Gebt mir Herberge bei Euch, denn ich werde in meinem Landverfolgt, sagte Elia.

    Was fr ein Verbrechen habt Ihr begangen? fragte sie.

    Ich bin ein Prophet des Herrn. Isebel lie alle tten, die sich

    weigerten, ihre phnizischen Gtter anzubeten.Wie alt seid Ihr?Dreiundzwanzig, antwortete Elia.

    Sie blickte den jungen Mann vor sich voller Mitleid an. Er hattelanges, schmutziges Haar; er trug einen noch sprlichen Bart,als wollte er lter aussehen, als er tatschlich war. Wie wollteein armseliger Mann wie er die mchtigste Prinzessin der Weltherausfordern?

    Wenn Ihr Isebels Feind seid, seid Ihr auch mein Feind. Sie isteine Prinzessin aus Sidon, die es sich bei ihrer Heirat mitEurem Knig zum Ziel gesetzt hat, Euer Volk zum wahrenGlauben zu bekehren. So sagen jedenfalls die, die siekennengelernt haben.

    Sie wies auf den Gipfel eines der Berge, die das Talumschlossen.

    Unsere Gtter wohnen seit vielen Generationen dort oben aufdem Fnften Berg, und durch sie haben wir Frieden in unseremLand. Israel hingegen lebt im Krieg und im Leid. Wie knnt Ihrda weiter an den Einzigen Gott glauben? Lat Isebel etwasZeit, und Ihr werdet sehen, da auch in Euren Stdten Friedenherrschen wird.Ich habe die Stimme des Herrn vernommen, entgegnete Elia.Ihr Phnizier seid jedoch nie auf den Fnften Berg gestiegen,

    um Euch dort oben umzusehen.

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    Wer auf diesen Berg steigt, den verbrennen die himmlischenFeuer. Die Gtter mgen keine Fremden.

    Sie hielt inne. Sie erinnerte sich, da sie in jener Nacht im

    Traum ein sehr helles Licht gesehen hatte. Mitten aus diesemLicht aber war eine Stimme gekommen, die gesagt hatte:Nimm den Fremden auf, der dich aufsuchen wird.

    Beherbergt mich bei Euch, denn ich habe keinen Ort, an demich schlafen kann, beharrte Elia.

    Ich habe Euch bereits gesagt, da ich arm bin. Es reicht kaumfr mich und meinen Sohn.

    Der Herr hat Euch gebeten, mich bei Euch aufzunehmen. Er

    verlt den nie, der ihn liebt. Tut, um was ich Euch bitte. Ichwerde fr Euch arbeiten. Ich bin Tischler, ich kann mitZedernholz arbeiten, und es wird mir an Arbeit nicht mangeln.So wird der Herr meine Hnde benutzen, um Sein Versprechenzu halten: Das Mehl im Rad soll nicht verzehrt werden, unddem lkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, da der Herrregnen lassen wird auf Erden.

    Selbst wenn ich es wollte, so knnte ich Euch nicht bezahlen.

    Das braucht Ihr nicht. Der Herr wird es richten.Von ihrem Traum in jener Nacht verwirrt, beschlo die Frau zugehorchen, obwohl der Fremde ein Feind der Prinzessin vonSidon war.Elias Anwesenheit wurde sogleich von den Nachbarn bemerkt.Sie nahmen es der Witwe bel, da sie einen Fremden in ihrHaus aufgenommen hatte und so das Andenken an ihren Mannschndete, der die Handelsrouten seines Landes zu erweiternversuchte und dabei einen heldenhaften Tod gefunden hatte.Als ihr die blen Nachreden zu Ohren kamen, verwahrte sichdie Witwe dagegen und erklrte, da es sich bei dem Mann umeinen Propheten aus Israel handelte, der fast verhungert undverdurstet wre. Und bald machte die Nachricht in der Stadt dieRunde, da ein israelitischer Prophet, der vor Isebel geflohenwar, sich in Akbar aufhielt. Eine Abordnung der Nachbarnbegab sich zum Priester.

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    Bringt mir diesen Fremden, befahl er.

    Und so geschah es. An jenem Nachmittag wurde Elia vor denMann gefhrt, der zusammen mit dem Stadthauptmann und

    dem Kommandanten alles kontrollierte, was in Akbar geschah.Was macht Ihr hier? fragte er. Wit Ihr nicht, da Ihr einFeind unseres Landes seid?

    Ich habe jahrelang Handel mit dem Libanon getrieben undrespektiere Euer Volk und seine Bruche. Ich bin hier, weil ichin Israel verfolgt werde.Ich kenne den Grund, sagte der Priester. Hat eine FrauEuch zum Flchtling gemacht?

    Diese Frau war das schnste Wesen, das ich je in meinemLeben gesehen habe. Doch ihr Herz ist aus Stein, und hinterihren grnen Augen verbirgt sich der Feind, der mein Landzerstren will. Ich bin nicht geflohen, ich warte nur auf denrichtigen Augenblick zur Rckkehr.Der Priester lachte.

    Wenn Ihr auf den rechten Augenblick fr Eure Rckkehrwartet, dann richtet Euch darauf ein, bis an Euer Lebensendehier in Akbar zu bleiben. Wir fhren keinen Krieg gegen EuerLand. Wir wollen nur, da sich der wahre Glaube in der ganzenWelt ausbreitet - mit friedlichen Mitteln. Wir wollen nicht dieGrausamkeiten wiederholen, die Euer Volk begangen hat, alses sich in Kanaan niederlie.

    Ist es ein friedliches Mittel, Propheten umzubringen?Man ttet das Ungeheuer, indem man ihm den Kopf

    abschlgt. Einige mgen dabei sterben, doch nur so lassen sichReligionskriege auf Dauer verhindern. Und wie ich von denKaufleuten gehrt habe, war es ein Prophet namens Elia, derdas alles angezettelt hat und dann geflohen ist.Der Priester starrte ihn an, bevor er fortfuhr:

    Ein Mann, der Euch hnlich sieht.Ich bin es, sagte Elia.

    Groartig. Willkommen in Akbar: Wenn wir etwas von Isebel

    brauchen, bezahlen wir mit Eurem Kopf - eine bessere

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    Whrung gibt es nicht. Bis dahin sucht Euch eine Arbeit undlernt, Euch selbst zu ernhren, denn hier haben wir keinenPlatz fr Propheten.

    Elia wollte gerade hinausgehen, da sagte der Priester:Es scheint so, als wre eine junge Frau aus Sidon mchtigerals Euer Einziger Gott. Sie hat Baal einen Altar errichtet, undnun knien die ehemaligen Priester vor ihm.Alles wird geschehen, wie es der Herr gesagt hat,entgegnete der Prophet. Es gibt Augenblicke, in denen inunserem Leben Widrigkeiten auftauchen, die wir nichtverhindern knnen. Doch alles hat seinen Grund.

    Und welchen?Das ist eine Frage, die wir erst beantworten knnen, wenn wirdie Schwierigkeiten berwunden haben, weder vorher nochmittendrin. Erst nachtrglich begreifen wir, warum es siegegeben hat.Sobald Elia hinausgegangen war, rief der Priester dieBrgerabgeordneten zusammen, die ihn an jenem Morgenaufgesucht hatten.

    Macht euch seinetwegen keine Sorgen, sagte der Priester.Die Tradition will, da wir die Fremden bei uns aufnehmen.Auerdem haben wir ihn hier unter Kontrolle und sehen, was erim Schilde fhrt. Die beste Art, einen Feind kennenzulernenund zu zerstren, ist, so zu tun, als sei man sein Freund. Wennder rechte Augenblick gekommen ist, wird er Isebel bergeben,und unsere Stadt erhlt Gold und andere Belohnungen. Bisdahin werden wir gelernt haben, seine Ideen zu zerstren. Bis

    jetzt wissen wir nur, wie wir seinen Krper zerstren knnen.Obwohl Elia den Einzigen Gott anbetete und ein Feind derPrinzessin war, verlangte der Priester, da ihm das Recht aufAsyl gewhrt werde. Alle kannten die alte Tradition: Wenn eineStadt einem Reisenden Herberge verweigerte, kam dasselbeLos ber die Kinder seiner Bewohner. Da ein groer Teil derKinder von Akbar mit der riesigen Handelsflotte auf der ganzenWelt verstreut war, wagte niemand das Gesetz der

    Gastfreundschaft zu brechen.

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    Zudem kostete es nichts, auf den Tag zu warten, an dem

    der Kopf des jdischen Propheten gegen groe MengenGoldes ausgetauscht werden wrde.

    Am Abend speiste Elia mit der Witwe und deren Sohn. Alsisraelitischer Prophet war er jetzt ein wertvolles Handelsobjektfr die Zukunft, und einige Kaufleute schickten ausreichendNahrungsmittel, damit sich die Familie eine Woche lang davonernhren konnte.

    Es scheint, als hielte der Gott Israels Wort, sagte die Witwe.Seit mein Mann gestorben ist, war mein Tisch noch nie soreich gedeckt wie heute.

    Elia lebte sich bald in Akbar ein. Wie die anderen Bewohner derStadt nannte auch er sie Akbar. Er lernte den Stadthauptmannkennen, den Kommandanten der Garnison, den Priester, dieGlasblsermeister, deren Waren im weiten Umkreis bewundertwurden. Wenn sie ihn fragten, was er denn in der Stadt mache,sagte er die Wahrheit: Er sei vor Isebel geflohen.Ihr seid ein Verrter Eures Landes und ein Feind Phniziens,sagten sie. Doch wir sind ein Volk von Kaufleuten und wissen,

    da der Kopfpreis auf einen Mann um so hher ist, jegefhrlicher er ist.

    So gingen die Monate ins Land.

    Am Eingang des Tales kampierten einige assyrischePatrouillen, und es sah so aus, als wollten sie bleiben. DieseHandvoll Soldaten bedeutete keine Bedrohung. Trotzdem batder Kommandant den Stadthauptmann, Vorkehrungen zutreffen.

    Sie haben uns nichts getan, entgegnete derStadthauptmann. Bestimmt sind sie in einer Handelsmissionhier und kundschaften eine bessere Route fr ihre Waren aus.Wenn sie beschlieen, unsere Straen zu benutzen, werdensie Wegzoll zahlen mssen - und wir werden damit nochreicher. Warum sie also provozieren?

    Die Lage spitzte sich zu, als unvermutet der Sohn der Witweerkrankte. Die Nachbarn gaben dem Fremden in ihrem Haus

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    die Schuld, und die Frau bat Elia zu gehen. Doch er ging nicht.Der Herr hatte ihn noch nicht gerufen. Daraufhin verbreitetesich das Gercht, der Fremde habe den Zorn der Gtter des

    Fnften Berges auf sich gezogen.Das Heer war unter Kontrolle, und der Stadthauptmann konntedas Volk wegen der fremden Patrouillen beruhigen. Doch alsder Sohn der Witwe erkrankte, lie sich der Volkszorn auf denFremden immer weniger in Schach halten.Schon wurde eine Abordnung der Brger bei ihm vorstellig.

    Wir knnten fr den Israeliten ein Haus auerhalb der Mauernbauen, sagten sie. So wrden wir das Gesetz der

    Gastfreundschaft nicht brechen und dem Zorn der Gtterentgehen. Den Gttern gefllt die Anwesenheit dieses Mannesnicht.

    Lat ihn dort, wo er ist, antwortete der Stadthauptmann. Ichmchte keine politischen Probleme mit Israelheraufbeschwren.Wieso? fragten die Bewohner. Isebel verfolgt alle Prophetendes Einzigen Gottes und will sie tten.

    Unsere Prinzessin ist eine mutige Frau und sie ist den Gtterndes Fnften Berges treu. Doch sie mag heute so viel Machthaben, wie sie will, sie ist keine Israelitin und kann morgenschon in Ungnade fallen. Und dann gnade uns vor dem Zornunserer Nachbarn! Wenn wir zeigen, da wir einen ihrerPropheten gut behandeln, werden sie nachsichtig zu uns sein.

    Mimutig ging die Brgerdelegation von dannen. Es pateihnen nicht, da der Priester gesagt hatte, Elia wrde dereinst

    gegen Gold und Belohnungen ausgetauscht. Doch selbst wennder Stadthauptmann im Unrecht war, muten sie sich fgen,denn die Tradition verlangte von ihnen, da sie die Meinungdes Stadthauptmanns respektierten.

    Am Taleingang wurden die Zelte der assyrischen Krieger immerzahlreicher.

    Der Kommandant beobachtete es mit Sorge. Er versuchte,seine Krieger durch stndige Manver zu schulen; wie schon

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    ihre Vorfahren hatten sie alle keinerlei Kampferfahrung. Kriegegehrten in Akbar der fernen Vergangenheit an. Alle Strategien,die er gelernt hatte, waren hoffnungslos veraltet, und die

    anderen Lnder benutzten lngst modernere Methoden undWaffen.Akbar hat immer seinen Frieden ausgehandelt, sagte derStadthauptmann. Es wre nicht das erste Mal, da wir erobertwerden. La die fremden Lnder einander bekriegen: Wirhaben eine viel mchtigere Waffe als sie - Geld. Wenn sieeinander endgltig niedergemacht haben, gehen wir in ihreStdte und verkaufen ihnen unsere Waren.

    Dem Stadthauptmann gelang es, den Brgern die Angst vorden Assyrern auszureden. Doch Gerchte grassierten, wonachder Israelit den Fluch der Gtter ber Akbar gebracht htte. Eliawurde zu einem immer greren Problem.Eines Nachmittags ging es dem Jungen pltzlich schlechter. Erkonnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und erkannte dieBesucher nicht mehr. Bevor die Sonne am Horizont versank,knieten Elia und die Frau neben dem Kind nieder.

    Allmchtiger Gott, der Du die Pfeile des Soldaten von mirabgewendet und mich hierhergefhrt hast, rette dieses Kind. Esist unschuldig, es kann nichts fr meine und meiner VterSnden - rette es, Herr.Der Junge bewegte sich kaum noch. Seine Lippen warenaschfahl, seine Augen blickten stumpf.Betet zu Eurem Einzigen Gott, bat die Frau. Denn nur eineMutter wei, wann die Seele ihres Kindes dahingeht.

    Elia htte gern ihre Hand ergriffen und ihr gesagt, da sie nichtallein sei und Gott der Allmchtige ihr helfen wrde. Er war einProphet, hatte dies am Ufer des Baches Krith auf sichgenommen, und nun waren die Engel an seiner Seite.

    Ich habe keine Trnen mehr, fuhr sie fort. Wenn Er keinErbarmen hat, wenn Er ein Leben will, dann bittet Ihn, meineszu nehmen und meinen Sohn weiter im Tal und durch dieStraen von Akbar gehen zu lassen.

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    Elia tat alles, um sich auf sein Gebet zu konzentrieren, dochdas Leid dieser Mutter war so gro, da es gleichsam dasganze Zimmer fllte, in die Wnde, die Tren, in alles eindrang.

    Er berhrte den Krper des Jungen. Das Fieber war nicht mehrso hoch wie an den beiden vorangegangenen Tagen - einschlechtes Zeichen.

    Der Priester war am Vormittag vorbeigekommen, umKruterumschlge auf das Gesicht und auf die Brust desJungen zu legen. Die Frauen von Akbar hatten althergebrachteRezepturen fr Heilmittel mitgebracht, die im Laufe der Zeitschon oft ihre Heilkraft unter Beweis gestellt hatten. Jeden

    Nachmittag hatten sie sich am Fue des Fnften Bergesversammelt und geopfert, auf da die Seele des Jungen seinenKrper nicht verlasse.

    Ein gyptischer Kaufmann auf Durchreise war von alledem soangerhrt, da er der Witwe ein kostbares rotes Pulverschenkte, das unter das Essen des Jungen gemischt werdensollte. Die Legende besagte, da die Rezeptur dieser Arzneiden gyptischen rzten direkt von den Gttern eingegeben

    worden sei.Inzwischen hatte Elia unablssig gebetet.

    Doch es hatte nichts gentzt - gar nichts.Ich wei, warum sie Euch erlauben, hierzubleiben, sagte dieFrau, deren Stimme nur mehr ein Flstern war, weil sienchtelang nicht geschlafen hatte. Ich wei, da auf EurenKopf ein Preis gesetzt wurde, da sie Euch eines Tages nachIsrael schicken werden und da Ihr dann gegen Gold

    eingetauscht werdet. Wenn Ihr meinen Sohn rettet, schwre ichbei Baal und den Gttern des Fnften Berges, da Ihr niemalsgefangen werdet. Ich kenne lngst vergessene Fluchtwege,und ich zeige Euch, wie Ihr Akbar unbemerkt verlassen knnt.

    Elia schwieg.Betet zu Eurem Einzigen Gott, bat die Frau wieder. Ichschwre, Baal zu entsagen und an Ihn zu glauben, wenn Ermeinen Sohn rettet. Erklrt Eurem Herrn, da ich Euch

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    beherbergt habe, als Ihr in Not wart, und da ich getan habe,wie Er befohlen hat.

    Elia betete abermals und flehte mit all seiner Kraft. In genau

    diesem Augenblick regte sich der Junge.Ich will hier raus, sagte der Junge mit schwacher Stimme.

    Die Augen der Mutter leuchteten vor Freude, und sie weinte.Komm, mein Sohn. La uns hingehen, wohin du willst, tu, wasdu gerne mchtest.Elia wollte ihn auf den Arm nehmen, doch der Junge wies seineHand zurck.

    Ich mchte allein hinausgehen, sagte er.Er stand langsam auf und begann zum Wohnzimmer zu gehen.Doch nach wenigen Schritten fiel er wie vom Blitz getroffen zuBoden.

    Elia und die Witwe eilten zu ihm. Der Junge war tot.

    Eine Weile blieben beide still. Dann fing die Frau an laut zuschreien.

    Verflucht seien die Gtter, verflucht seien die, die die Seele

    meines Sohnes genommen haben! Verflucht sei der Mann, derdas Unheil ber mein Haus gebracht hat. Weil ich den Willendes Himmels befolgte und einen Fremden grozgig aufnahm,mute mein Sohn sterben!

    Die Nachbarn hrten die Klagen der Witwe und sahen ihrenSohn auf dem Boden des Hauses liegen. Die Frau wehklagteweiter, schlug den israelitischen Propheten, der neben ihrstand, mit den Fusten. Er aber reagierte nicht und wehrte sich

    nicht. Whrend die Frauen versuchten, die Witwe zu beruhigen,packten die Mnner Elia und schleppten ihn vor denStadthauptmann.Dieser Mann hat Grozgigkeit mit Ha vergolten. Er hateinen bsen Zauber auf das Haus der Witwe gelegt, und ihrSohn ist gestorben. Wir beherbergen jemanden, der von denGttern verflucht ist.

    Elia weinte. Herr, mein Gott, haderte er, willst Du selbst

    meiner Gastgeberin so bse, da Du ihren Sohn ttest? Du

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    hast ihren Sohn gettet, weil ich die Mission, die miraufgetragen wurde, nicht erfllt habe und den Tod verdiene.

    Am selben Abend noch versammelte sich der Stadtrat von

    Akbar unter dem Vorsitz des Priesters und desStadthauptmanns. Elia wurde vor das Gericht gefhrt.Ihr habt Liebe mit Ha vergolten. Deshalb verurteile ich Euchzum Tode, sagte der Stadthauptmann.Auch wenn sein Kopf einen Sack Gold wert ist, drfen wir denZorn der Gtter des Fnften Berges nicht erwecken, sagte derPriester. Denn sonst kann kein Gott der Welt dieser Stadt denFrieden wiedergeben.

    Elia senkte das Haupt. Er verdiente das viele Leid, ertrug es,denn der Herr hatte ihn verlassen.

    Ihr werdet auf den Fnften Berg steigen, sagte der Priester.Dort werdet Ihr die erzrnten Gtter um Vergebung bitten. Siewerden das Feuer des Himmels auf Euch herabsenden undEuch tten. Tun sie es nicht, so ist es ihr Wille, da dieGerechtigkeit durch uns wiederhergestellt werde. Wir werdenam Fu des Berges auf Euch warten und Euch morgen

    hinrichten.Elia kannte die rituellen Hinrichtungen sehr wohl: DemVerurteilten wurde das Herz aus dem Leib gerissen und derKopf abgeschlagen. Nach phnizischem Glauben kam einMensch ohne Herz nicht ins Paradies.Warum hast Du mich hierzu auserwhlt, Herr? rief Elia laut,weil die Menschen um ihn herum nicht verstehen konnten,wofr Gott ihn bestimmt hatte. Siehst Du denn nicht, da ich

    unfhig bin zu erfllen, was Du verlangt hast.Doch er erhielt keine Antwort.

    Die Mnner und Frauen von Akbar zogen hinter der Gruppe derWachsoldaten her, die den Israeliten zum Fnften Bergbrachten. Sie beschimpften ihn laut und bewarfen ihn mitSteinen. Die Soldaten konnten die zornige Mengenur mit Mhe in Schach halten. Nach einer halben StundeFumarsch gelangten sie an den Fu des Berges.

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    Die Gruppe blieb vor den steinernen Altren stehen, wo sonstdie Opfergaben dargebracht und die Gebete gesprochenwurden. Alle wuten von den legendren Riesen, die an

    diesem Ort lebten und die alle, die gegen das Gesetz verstoenhatten, mit dem Feuer des Himmels bestraften. Reisende, dienachts durch das Tal kamen, wollten das Gelchter der Gtterund Gttinnen gehrt haben, und darum wagte keiner, denGttern zu trotzen.Los jetzt, sagte ein Soldat und schubste Elia mit der Spitzeseiner Lanze an. Wer ein Kind ttet, verdient die schlimmstealler Strafen.

    Elia betrat das verbotene Gelnde und begann den Hanghinaufzusteigen. Nachdem er eine Weile gewandert war,konnte er das Geschrei der Leute von Akbar nicht mehr hren.Er setzte sich auf einen Stein und weinte: Seit jenemNachmittag in der Tischlerwerkstatt, als er die von glnzendenLichtpunkten durchflirrte Dunkelheit sah, hatte er nur Unglckber andere gebracht.Der Herr hatte seine Frsprecher in Israel verloren, und die

    phnizischen Gtter hatten sich durchgesetzt. In seiner erstenNacht am Bach Krith hatte Elia gedacht, Gott habe auch ihn,wie viele Propheten vor ihm, dazu auserwhlt, ein Mrtyrer zuwerden.Aber der Herr hatte einen Raben - einen weissagenden Vogel -geschickt, der Elia ernhrte, bis der Bach Krith ausgetrocknetwar. Warum Raben und keine Taube oder einen Engel? Oderwar dies alles am Ende nur eine Wahnvorstellung von

    jemandem, der zu lange in der Sonne gewesen war oder sichseine Angst nicht eingestehen wollte? Elia besa jetzt keineGewiheiten mehr: Vielleicht hatte das Bse sein Werkzeuggefunden - und er war dieses Werkzeug. Warum hatte ihn Gottnach Akbar geschickt anstatt zurck nach Israel, um derPrinzessin ein Ende zu bereiten, die seinem Volk so viel Leidzufgte.Er hatte gehorcht, obschon er sich dabei feige vorgekommenwar. Er hatte gekmpft, um sich an dieses fremde freundliche

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    Volk und seine vollkommen andere Kultur anzupassen. Geradeals er meinte, sein Schicksal erfllt zu haben, war der Sohn derWitwe gestorben.

    Warum ich?Er erhob sich, wanderte weiter, bis er in den Nebel kam, derden Gipfel des Berges bedeckte. Er knnte die schlechte Sichtausnutzen und seinen Verfolgern entwischen, doch wozu? Erwar es leid zu fliehen, er wute, da er nirgends in der Weltheimisch werden wrde. Selbst wenn ihm die Flucht jetztgelnge, den Fluch wrde er dadurch nicht los, er wrde ihnbegleiten, und in anderen Stdten wrde es andere Tragdien

    geben. Er wrde den Schatten dieser Toten mit sich tragen,wohin er auch ginge. Es war besser, da man ihm das Herzaus dem Leibe ri, seinen Kopf abschlug.

    Er setzte sich abermals nieder, diesmal mitten im Nebel. Erhatte beschlossen, etwas zu warten, damit die Leute untendachten, da er bis zum Gipfel des Berges hinaufgestiegen sei.Anschlieend wrde er nach Akbar zurckkehren und sichseinen Hschern stellen.

    Das Feuer des Himmels. Vielen Menschen hatte esschon den Tod gebracht, obwohl Elia bezweifelte, da es vomHerrn geschickt war. In mondlosen Nchten irrlichterte es amFirmament, blitzte auf und verschwand pltzlich wieder.Vielleicht verbrannte es. Vielleicht ttete es sofort, schmerzlos.

    Die Nacht brach herein, und der Nebel hob sich. Er konnte insTal hinunter sehen, zu den Lichtern von Akbar und denassyrischen Lagerfeuern; er hrte Hundegebell und die

    Kriegsgesnge der Soldaten.Ich bin bereit, sagte er zu sich selbst. Ich habe akzeptiert,ein Prophet zu sein, und habe mein Bestes gegeben... Doch ichhabe versagt, und jetzt braucht Gott einen anderen.

    In diesem Augenblick kam ein Licht auf ihn hernieder.

    Das Feuer des Himmels!Das Licht blieb jedoch vor ihm stehen. Und eine Stimmesprach:

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    Ich bin ein Engel des Herrn.

    Elia kniete nieder und berhrte mit dem Gesicht die Erde.Ich habe Euch schon mehrfach gesehen und habe dem Engel

    des Herrn gehorcht, antwortete Elia, ohne den Kopf zu heben.Ihr lat mich Unheil sen, wohin ich komme.

    Doch der Engel fuhr fort:Wenn du in die Stadt zurckkehrst, bitte dreimal, da derJunge wieder lebendig wird. Beim dritten Mal wird der Herr dicherhren.

    Warum soll ich das tun?

    Um der Gre Gottes willen.Auch wenn ich dieses tun wrde, so habe ich doch schon anmir selbst gezweifelt. Ich bin meiner Aufgabe nicht wrdig,entgegnete Elia.

    Jeder Mensch hat das Recht, an seiner Aufgabe zu zweifelnund sie hin und wieder aufzugeben; was er allerdings nicht tundarf, ist, sie zu vergessen. Wer nicht an sich selbst zweifelt, istunwrdig, weil er seiner Fhigkeit blind vertraut und sich aus

    Stolz versndigt. Gesegnet sei der, der Augenblicke derUnentschlossenheit durchlebt.Ihr seht doch selbst, da ich mir eben noch nicht einmal sicherwar, ob Ihr ein Gesandter Gottes seid.Geh und tu, was ich dir sage.

    Eine geraume Weile verstrich, bis Elia den Berg wiederhinabstieg. Die Wachsoldaten warteten bei den Opferaltrenauf ihn, die Menschenmenge aber war nach Akbar

    zurckgekehrt.Ich bin bereit zu sterben, sagte er. Ich habe die Gtter desFnften Berges um Vergebung gebeten, und sie verlangen nunvon mir, da ich, bevor meine Seele den Krper verlt, bei derWitwe, die mich aufgenommen hat, vorbeigehe und sie darumbitte, Erbarmen mit meiner Seele zu haben.

    Die Soldaten fhrten ihn zurck und begaben sich zum Priester.Dort gaben sie die Bitte des Israeliten weiter.

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    Ich werde tun, worum Ihr gebeten habt, sagte der Priesterzum Gefangenen. Ihr habt die Gtter um Vergebung gebeten,nun mt Ihr auch die Witwe um Vergebung bitten. Damit Ihr

    nicht auf die Idee kommt zu fliehen, lasse ich Euch von vierbewaffneten Soldaten begleiten. Doch glaubtnur ja nicht, da Ihr die Witwe dazu bringen knnt, um Gnadefr Euer Leben zu bitten. Im Morgengrauen werden wir Euchmitten auf dem Platz hinrichten.Der Priester wollte noch wissen, was er dort oben gesehenhabe. Doch in Gegenwart der Soldaten traute er sich nicht zufragen, aus Angst, da die Antwort ihn vielleicht in Verlegenheit

    bringen knnte. Daher schwieg er. Elia ffentlich um Vergebungbitten zu lassen, schien ihm eine gute Idee. So wrde niemandmehr an der Macht der Gtter des Fnften Berges zu zweifelnwagen.Elia und die Soldaten bogen in die rmliche Gasse ein, in der ereinige Monate lang gelebt hatte. Tren und Fenster des Hausesder Witwe standen offen, damit - wie es der Brauch wollte - dieSeele ihres Sohnes hinausgelangen konnte, um bei den

    Gttern zu wohnen. Der Leichnam lag mitten im kleinenWohnraum, und um ihn herum kauerten die Nachbarn undhielten Totenwache.

    Sie erschraken, als sie den Israeliten sahen.Werft ihn hinaus! schrien sie voller Entsetzen den Soldatenzu. Hat er denn nicht schon genug Unheil ber uns gebracht?Er ist so verdorben, da sogar die Gtter des Fnften Bergesihre Hnde nicht mit seinem Blut beflecken wollen!

    berlat ihn uns, schrie ein anderer. Wir werden ihn jetzttten und nicht die rituelle Hinrichtung abwarten.

    Elia wurde gestoen und geschlagen, doch er entwand sichund lief zur Witwe, die in einem Winkel sa und weinte.

    Ich kann ihn von den Toten zurckholen. Gebt mir EurenSohn, sagte er. Nur fr einen Augenblick.

    Die Witwe hob nicht einmal den Kopf.

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    Bitte, bitte. Und wenn es das letzte ist, was Ihr in diesemLeben fr mich tut. Gebt mir eine Chance, Eure Grozgigkeitzu entlohnen.

    Einige Mnner packten ihn, um ihn abzufhren. Doch Eliaentwand sich erneut und bettelte und flehte, da die Witwe ihndas tote Kind berhren lasse.

    Doch sein ganzer jugendlicher Kampfesmut half nichts, undschlielich wurde er zur Haustr gedrngt. Engel des Herrn,wo bist du? rief er zum Himmel.

    Da pltzlich hielten alle inne. Die Witwe hatte sich erhoben undkam auf ihn zu. Sie nahm ihn bei der Hand, fhrte ihn zum

    Leichnam des Sohnes und zog das Tuch weg, das ihnbedeckte.

    Hier liegt das Blut meines Blutes, sagte sie. Mge es aufdas Haupt Eurer Verwandten herabkommen, wenn Euch nichtgelingt, was Ihr zu tun wnscht.

    Elia trat an die Leiche heran und berhrte sie.

    Wartet, sagte die Witwe. Zuvor bittet Euren Gott, da sichmein Fluch erfllen mge.

    Elia klopfte das Herz bis zum Hals. Doch er glaubte an dieWorte des Engels.

    Mge das Blut dieses Knaben auf meine Eltern undGeschwister und auf die Shne und Tchter meinerGeschwister herabkommen, wenn mir nicht gelingt, was ichversprach.Und obwohl er voller Zweifel, voller Schuld und Angst war,

    nahm er ihn und ging hinauf ins Obergemach, wo er wohnte,und legte ihn auf sein Bett und rief den Herrn an und sprach:Herr, mein Gott, tust Du sogar der Witwe, bei der ich ein Gastbin, so Bses an, da Du ihren Sohnttest? Und er legte sich dreimal auf das Kind und rief denHerrn an und sprach: Herr mein Gott, la sein Leben in diesKind zurckkehren.Einige Augenblicke lang geschah nichts. Elia sah sich wieder in

    Gilead vor dem Soldaten mit dem Bogen stehen, der auf sein

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    Herz zielte, und wute, da das Schicksal eines Menschenhufig nichts mit dem zu tun hat, woran er glaubt oder wovor ersich frchtet. Er fhlte sich ruhig und zuversichtlich wie an

    jenem Nachmittag, weil er wute, da es ungeachtet desErgebnisses einen Grund dafr gab, da dies alles geschah.Auf dem Gipfel des Fnften Berges hatte der Engel diesenGrund die Gre Gottes genannt; er hoffte, da er einesTages begreifen wrde, warum der Schpfer seine Geschpfebrauchte, um diese Gre zu zeigen.

    Da ffnete der Junge die Augen.Wo ist meine Mutter? fragte er.

    Sie wartet unten auf dich, antwortete Elia lchelnd.Ich hatte einen merkwrdigen Traum. Ich eilte durch einschwarzes Loch, schneller als das schnellste Rennpferd vonAkbar. Ich sah einen Mann und wute, da es mein Vater war,obwohl ich ihn nie kennengelernt habe. Dann kam ich an einenwunderschnen Ort, an dem ich gern geblieben wre. Doch einanderer Mann, den ich nicht kenne, der aber aussah wie einguter und tapferer Mann, bat mich leise zurckzukehren. Ich

    wollte weiter, doch Ihr habt mich aufgeweckt.Der Junge wirkte traurig. Der Ort, den er gesehen hatte, mutesehr schn gewesen sein.Lat mich nicht allein, denn Ihr habt mich von einem Ortzurckgeholt, an dem ich mich beschtzt fhlte.La uns hinuntergehen, sagte Elia. Deine Mutter mchtedich sehen.Der Junge versuchte aufzustehen, doch er war zu schwach, umzu gehen. Da nahm ihn Elia auf den Arm und stieg hinunter.Die Leute unten im Wohnraum erstarrten vor Schreck.

    Warum sind all diese Leute hier? fragte der Junge.Noch bevor Elia antworten konnte, nahm die Witwe ihren Sohnin den Arm und kte ihn unter Trnen.Was haben die mit dir gemacht, Mutter? Warum bist dutraurig?

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    Ich bin nicht traurig, mein Sohn, antwortete sie und wischtesich die Augen. Ich war in meinem Leben noch nie soglcklich.

    Und dann warf sie sich auf die Knie und begann zu rufen:Nun erkenne ich, da Ihr ein Mann Gottes seid! Die Wahrheitdes Herrn spricht aus Euren Worten!

    Elia umarmte sie und bat sie, sich zu erheben. Lat diesenMann frei! sagte sie zu den Soldaten. Er hat das Bsebesiegt, das ber mein Haus gekommen ist!Die versammelten Nachbarn trauten ihren Augen nicht. Ein

    junges Mdchen, eine Malerin, kniete neben der Witwe nieder.

    Allmhlich taten es ihr die anderen gleich - auch die Soldaten,die den Auftrag hatten, Elia ins Gefngnis zu werfen.

    Steht auf, bat er. Und betet den Herrn an. Ich bin nur einerseiner Diener, vielleicht von allen der ungeeignetste.

    Doch sie knieten weiter, mit gesenktem Kopf.

    Ihr habt mit den Gttern des Fnften Berges gesprochen,hrte er eine Stimme sagen. Und jetzt knnt Ihr Wunder tun.

    Dort gibt es keine Gtter. Ich sah einen Engel des Herrn, dermich geheien hat, dies hier zu tun.Ihr wart bei Baal und seinen Brdern, sagte ein anderer.

    Elia bahnte sich seinen Weg zwischen den knienden Menschenhindurch und ging hinaus auf die Strae. Sein Herz klopftenoch immer heftig, als htte er die Aufgabe, die ihm der Engelauferlegt hatte, nicht gut erfllt. Was bringt es denn, jemandenvom Tode zu erwecken, wenn niemand glaubt, woher so viel

    Macht kommt? Der Engel hatte ihm aufgetragen, dreimal denNamen Gottes anzurufen, aber er hatte ihm nicht gesagt, wie erder Menge unten das Wunder erklren sollte. Heit das etwa,da ich nur einfach eitel bin wie die alten Propheten? fragte ersich.

    Er hrte die Stimme seines Schutzengels, mit dem er seitseiner Kindheit sprach.

    Ein Engel des Herrn war heute bei dir.

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    Ja, antwortete Elia. Doch die Engel des Herrn sprechennicht selbst mit den Menschen, sie geben nur die BefehleGottes weiter.

    Ntze deine Macht, sagte der Schutzengel.Elia begriff nicht, was der Engel damit sagen wollte. Ich habekeine Macht auer der, die vom Herrn kommt, sagte er.

    Und der Engel sagte noch:

    Von nun an bis zu dem Augenblick, in dem du in dein Landzurckkehrst, ist dir kein weiteres Wunder erlaubt.

    Und wann wird das sein?

    Der Herr braucht dich, um Israel wieder aufzubauen, sagteder Engel. Du wirst seinen Boden erst dann wieder betreten,wenn du gelernt hast, aufzubauen.Und mehr sagte er nicht.

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    Zweiter Teil

    Der Priester sprach sein Gebet an die aufgehende Sonne und

    bat den Gott des Sturmes und die Gttin der Tiere umBarmherzigkeit fr die Toren. Jemand hatte ihm am Morgenerzhlt, da Elia den Sohn der Witwe aus dem Reich der Totenzurckgeholt hatte.

    Die Stadt war in hellem Aufruhr vor Schreck und Erregung. Alleglaubten, da der Israelit seine Macht von den Gttern desFnften Berges erhalten habe und es nun noch schwierigersein werde, ihn zu tten. Doch die Zeit wird kommen, trstete

    sich der Priester.Die Gtter wrden ihnen schon Gelegenheit geben, mit EliaSchlu zu machen. Der gttliche Zorn aber hatte einen anderenGrund, und die Assyrer am Taleingang waren ein Zeichendafr. Warum war der jahrhundertealte Friede pltzlichgefhrdet? Er wute die Antwort: die Erfindung von Byblos.Sein Land hatte eine Form der Schrift erfunden, die allenzugnglich war, selbst denen, die noch unfhig waren, sie zu

    benutzen. Jeder konnte sie in kurzer Zeit lernen - und dasbedeutete das Ende der Zivilisation.Der Priester wute, da von allen Waffen des Menschen dieschrecklichste und mchtigste das Wort war. Dolche undLanzen lieen blutige Spuren zurck. Pfeile konnten von ferngesehen werden. Gifte konnten letztlich erkannt und vermiedenwerden.Doch das Wort konnte zerstren, ohne Spuren zu hinterlassen.

    Sobald die heiligen Rituale unkontrolliert verbreitet werdenkonnten, wrden viele Menschen sie benutzen, um dasUniversum zu verndern, und die Gtter wrden sich empren.Bis zu diesem Augenblick hatte nur die Priesterkaste zu denaltehrwrdigen berlieferungen und Riten Zugang, die immernur mndlich berliefert wurden, mit der Auflage strengsterGeheimhaltung. Man brauchte Jahre des Studiums, um dieSchriftzeichen zu entziffern, die die gypter ber die ganze

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    Welt verbreitet hatten. Daher konnten nur die Gebildetsten -Schreiber und Priester - schriftlich Informationen austauschen.

    Andere Kulturen hatten ihre eigenen uralten Formen der

    Geschichtsaufzeichnung, doch die waren so kompliziert, daniemand sich auerhalb der Gebiete, in denen sie benutztwurden, die Mhe machte, sie zu erlernen. Die Erfindung vonByblos hingegen war hochgefhrlich. Sie konnte in jedem Land,unabhngig von der jeweiligen Sprache, benutzt werden. Selbstdie Griechen, die gemeinhin alles ablehnten, was nicht in ihreneigenen Stdten entstanden war, hatten bereits die Schrift vonByblos fr ihre Handelsgeschfte bernommen. Da sieSpezialisten im bernehmen von Neuheiten waren, hatten sieder Erfindung von Byblos bereits einen griechischen Namengegeben: Alphabet.

    Die jahrhundertelang gehteten Geheimnisse liefen Gefahr, ansLicht zu kommen. Im Vergleich dazu war die Gotteslsterungdes Elia - jemanden vom anderen Ufer des Todes, wie diegypter sagten, wieder zurckzuholen - gar nichts.>Wir werden bestraft, weil wir nicht mehr sorgfltig

    hten knnen, was heilig istDie Assyrerstehen vor unseren Toren, werden das Tal durchqueren und dieZivilisation unserer Vorfahren zerstren.Wie schn er doch ist

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    Hrt, was ich Euch zu sagen habe: Nach dem Wunder vongestern abend habe ich auerhalb der Stadtmauerngeschlafen, denn ich brauchte etwas Ruhe. Da erschien mir

    wieder der Engel, den ich schon oben auf dem Fnften Berggesehen hatte. Und er sagte zu mir: Akbar wird vom Kriegzerstrt werden.Stdte knnen zerstrt werden, sagte der Priester. Siewerden siebenundsiebzig Mal wieder aufgebaut, denn dieGtter wissen, wohin sie sie gebaut haben, und wollen sie andiesem bestimmten Ort haben.Der Stadthauptmann kam von einer Gruppe Hflingen begleitet

    heran und fragte: Was sagt Ihr da?Ihr sollt den Frieden suchen, antwortete Elia.

    Wenn Ihr Angst habt, so geht doch dahin zurck, woher Ihrgekommen seid, entgegnete der Priester barsch.

    Isebel und ihr Knig warten auf die geflohenen Propheten, umsie zu tten, sagte der Stadthauptmann. Doch ich mchtegern, da Ihr mir berichtet, wie es Euch gelungen ist, auf denFnften Berg zu steigen, ohne vom Feuer vernichtet zu

    werden.Der Priester mute diese Unterhaltung unterbrechen. DerStadthauptmann schien mit den Assyrern verhandeln und Eliafr seine Zwecke benutzen zu wollen.

    Hrt nicht auf ihn, sagte er. Gestern, vor Gericht, sah ich ihnvor Angst weinen.

    Meine Trnen galten dem Bsen, das ich meinte, ber Euchgebracht zu haben. Ich frchte nur zweierlei: den Herrn undmich selbst. Ich bin nicht aus Israel geflohen und bin bereit,dorthin zurckzukehren, sobald es mir der Herr gestattet. Dannwerde ich dem Treiben der schnen Prinzessin ein Endebereiten, und der Glaube Israels ist gerettet.Man mu ein steinernes Herz haben, um dem Zauber Isebelszu widerstehen, hhnte der Priester. Und sonst schicken wirEuch eben eine noch schnere Frau, so wie wir es schon vorIsebel getan haben.

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    Der Priester hatte recht. Vor zweihundert Jahren hatte

    eine Prinzessin aus Sidon den weisesten aller HerrscherIsraels, den Knig Salomo, verfhrt. Sie hatte ihn dazu

    gebracht, einen Altar zu Ehren der Gttin Astarte zu errichten.Wegen dieser Gotteslsterung hatte der Herr die Heere allerbenachbarten Vlker sich erheben lassen, und Salomo warentthront worden.

    >Dasselbe wird mit Ahab, dem Ehemann von Isebel,geschehen

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    Volk von Akbar! Gestern abend bin ich auf den Fnften Berggestiegen und habe dort mit den Gttern gesprochen. Kaumwar ich wieder zurck, konnte ich einen Jungen aus dem Reich

    der Toten zurckholen!Die Leute umringten ihn. Die Geschichte war bereitsstadtbekannt. Der Stadthauptmann und der Priester blieben aufhalbem Weg stehen und machten kehrt, um zu sehen, wasgeschah. Der israelitische Prophet erzhlte, er habe gesehen,wie die Gtter des Fnften Berges einen hheren Gottanbeteten.Ich lasse ihn umbringen, sagte der Priester.

    Damit sich das Volk gegen uns erhebt?! entgegnete derStadthauptmann, der wissen wollte, was der Fremde sagte. Esist besser, wir warten, bis er einen Fehler macht.

    Bevor ich vom Berg herabstieg, haben mich die Gtter damitbeauftragt, dem Stadthauptmann zu helfen, mit den Assyrernfertig zu werden! fuhr Elia fort. Ich wei, er ist ein ehrenhafterMann und mchte mich anhren, doch es gibt Leute, die michbewut von ihm fernhalten, weil sie an einem Krieg interessiert

    sind.Der Israelit ist ein heiliger Mann, sagte ein Alter zumStadthauptmann. Niemand kann auf den Fnften Bergsteigen, ohne vom Feuer des Himmels erschlagen zu werden,doch diesem Mann ist es gelungen - und jetzt erweckt er sogarTote zum Leben.In Tyrus, Sidon und allen anderen phnizischen Stdtenherrscht die Tradition des Friedens, sagte ein anderer Alter.

    Wir haben schon andere, schlimmere Bedrohungen erlebt unddurchgestanden.

    Einige Kranke und Krppel kamen heran und bahnten sicheinen Weg durch die Menge, berhrten Elias Kleider und batenihn, sie von ihren Leiden zu heilen.Bevor Ihr dem Stadthauptmann Ratschlge erteilt, heilt ersteinmal die Kranken, sagte der Priester, dann werden wirglauben, da die Gtter des Fnften Berges mit Euch sind.

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    Elia erinnerte sich an die Worte des Engels in der Nacht: Nurdie Kraft gewhnlicher Menschen wrde ihm gestattet sein.

    Die Kranken bitten um Hilfe, beharrte der Priester. Wir

    warten alle.Zuvor lat uns den Krieg verhindern. Es wird noch mehrGebrechliche und Kranke geben, wenn uns das nicht gelingt.

    Da schaltete sich der Stadthauptmann ein.

    Elia wird mit uns gehen. Er ist von den Gttern erleuchtet.Obwohl er nicht glaubte, da es Gtter auf dem Fnften Berggab, brauchte der Stadthauptmann einen Verbndeten, der ihmdabei half, das Volk davon zu berzeugen, da ein Friede mitden Assyrern der einzige Weg war.Auf dem Weg zum Kommandanten meinte der Priester zu Elia:Ihr glaubt nichts von dem, was Ihr gesagt habt.

    Ich glaube, da der Friede der einzige Weg ist. Doch ichglaube nicht, da auf dem Gipfel des Berges Gtter wohnen.Ich war dort.Und was habt Ihr gesehen?

    Einen Engel des Herrn. Ich habe diesen Engel schon zuvor ananderen Orten, durch die ich gekommen bin, gesehen,entgegnete Elia. Und es gibt nur einen Gott.Der Priester lachte.

    Soll das heien, da Eurer Meinung nach derselbe Gott denSturm und das Getreide geschaffen hat, obwohl diesvollkommen verschiedene Dinge sind?Seht Ihr den Fnften Berg? fragte Elia. Von allen Seitensieht er anders aus, obwohl es immer derselbe Berg ist. So istes mit allem, was geschaffen wurde: viele Gesichter des einenGottes.

    Sie stiegen auf die Stadtmauer hinauf, von wo aus man in derFerne das feindliche Lager sah. Im wstenartigen Tal sprangendie weien Zelte ins Auge.Vor einiger Zeit, als die Wachen die Anwesenheit der Assyrer

    am Taleingang meldeten, hatten Spher gesagt, es seien nur

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    Kundschafter. Der Kommandant hatte vorgeschlagen, siegefangenzunehmen und als Sklaven zu verkaufen. DerStadthauptmann hatte sich fr eine andere Strategie

    entschieden - nichts zu tun. Er setzte darauf, da sich ein neuerMarkt fr die in Akbar hergestellten Glaswarenerschlieen wrde, wenn man gute Beziehungen zu ihnenaufbauen knnte. Selbst wenn sie nur dort waren, um einenKrieg vorzubereiten, so wuten die Assyrer durchaus, da diekleinen Stdte immer auf der Seite der Sieger waren. Daher lagden assyrischen Generlen nur daran, auf dem Weg nachTyrus und Sidon ungehindert durchzumarschieren. Denn daswaren die Stdte, welche Schtze und Wissen bargen.

    Die Patrouillen hatten am Taleingang kampiert, und ganzallmhlich war Verstrkung nachgerckt. Der Priesterbehauptete zu wissen warum: Die Stadt besa einen Brunnen,den einzigen Brunnen im Umkreis mehrerer Tagesreisen durchdie Wste. Wenn die Assyrer Tyrus und Sidon erobern wollten,dann brauchten sie dieses Wasser fr ihre Soldaten.Am Ende des ersten Monats htte man sie noch vertreiben

    knnen; am Ende des zweiten Monats htte man sie noch leichtbesiegen und einen ehrenvollen Rckzug mit den assyrischenTruppen aushandeln knnen.

    Sie warteten auf die Schlacht, doch niemand griff an. Am Endedes fnften Monats htte man die Assyrer noch zurckwerfenknnen. >Sie werden bald angreifen, denn sie haben sicherDurst

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    auf ihre Felder, die Handwerker machten Wein, Glas und Seife,die Kaufleute verkauften und kauften ihre Waren. Da Akbarseine Feinde nicht angriff, glaubten alle, da die Krise schon

    bald mit Verhandlungen behoben wrde. Alle wuten, da derStadthauptmann von den Gttern bestimmt worden war undimmer wute, was am besten zu tun sei.Als Elia in die Stadt kam, hatte der Stadthauptmann Gerchteber den Fluch ausstreuen lassen, den der Fremde mit sichbrachte. So konnte er, im Falle einer akuten Kriegsgefahr, denFremden zum Sndenbock fr alles Unheil machen, das berdie Stadt hereinbrach. Die Bewohner Akbars wren bestimmtleicht davon zu berzeugen, da mit dem Tod des Israelitendas Universum wieder ins Gleichgewicht kam. DerStadthauptmann brauchte dann nur zu erklren, da es nun zuspt sei, die Assyrer zum Abzug zu bewegen, Elia tten zulassen und seinem Volk zu erklren, da der Friede die besteLsung sei. Die Kaufleute, die ebenfalls den Frieden wollten,wrden das Volk auf ihre Seite bringen.

    Die ganzen Monate hatte er sich gegen den Priester und denKommandanten gestemmt, die einen umgehenden Angriff

    forderten. Die Gtter des Fnften Berges hatten ihn indes nochnie verlassen. Jetzt, nach der Wiedererweckung dervorangegangenen Nacht, war Elias Leben wichtiger als seineHinrichtung.Was hat dieser Fremde an Eurer Seite zu suchen? fragte derKommandant.Er wurde von den Gttern erleuchtet, antwortete derStadthauptmann. Und er wird uns helfen, die beste Lsung zufinden.Schnell wechselte er das Thema.Es scheinen heute noch mehr Zelte zu sein.

    Und morgen noch viel mehr, sagte der Kommandant.Htten wir sie vernichtet, als es nur eine Patrouille war, wrensie wahrscheinlich nie zurckgekommen.

    Ihr irrt. Einer von ihnen wre uns bestimmt entwischt, und

    dann wren sie wiedergekommen, um sich zu rchen.

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    Wenn wir die Ernte aufschieben, verfaulen die Frchte,beharrte der Kommandant. Wenn wir aber die Problemeaufschieben, wachsen sie immer weiter.

    Der Stadthauptmann erklrte, da nunmehr seit dreiJahrhunderten Friede in Phnizien herrschte und das Volk sehrstolz darauf sei. Was wrden kommende Generationen sagen,wenn er diese ra des Wohlstandes abbrach?

    Schickt einen Emissr, um mit ihnen zu verhandeln, sagteElia. Der beste Krieger ist der, dem es gelingt, sich seinenFeind zum Freund zu machen.Wir wissen nicht genau, was sie vorhaben. Wir wissen nicht

    einmal, ob sie unsere Stadt erobern wollen. Wie sollen wir daverhandeln?

    Es gibt bedrohliche Anzeichen. Ein Heer vertut nicht seine Zeitdamit, fern seiner Heimat militrische bungen zu machen.

    Jeden Tag kamen mehr Soldaten - und der Stadthauptmannberlegte sich, wieviel Wasser all diese Mnner wohlbrauchten. In krzester Zeit wrde die Stadt dem feindlichenHeer schutzlos ausgeliefert sein.

    Knnen wir jetzt angreifen? fragte der Priester denKommandanten.Ja, das knnen wir. Wir werden viele Mnner verlieren, dochdie Stadt wird gerettet werden. Aber wir mssen uns schnellentscheiden.

    Das sollten wir nicht tun, Stadthauptmann. Die Gtter desFnften Berges haben mir gesagt, da uns noch Zeit bleibt, umeine friedliche Lsung zu finden, rief Elia. Und derStadthauptmann tat so, als gebe er ihm recht und als ginge ihndie Auseinandersetzung zwischen dem Priester und demIsraeliten nichts an. Ihm war es gleichgltig, ob Sidon und Tyrusvon Phniziern, den Kanaanitern oder Assyrern regiert wurden.Wichtig war allein, da die Stadt weiterhin ihre Erzeugnisseverkaufen konnte.

    Greifen wir an, beharrte der Priester.

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    Einen Tag noch, bat der Stadthauptmann. Vielleicht findetsich noch eine Lsung.

    Er wrde schnell entscheiden mssen, wie der Bedrohung

    durch die Assyrer am besten zu begegnen war. Er stieg von derMauer herab und bat den Israeliten, ihn zum Palastzurckzubegleiten.

    Unterwegs beobachtete er das Volk um ihn herum: die Hirten,die ihre Schafe in die Berge fhrten, die Bauern, die auf dieFelder gingen, wo sie dem trockenen Boden Nahrung fr sichund ihre Familien abzutrotzen versuchten. Soldaten bten mitihren Lanzen, und einige vor kurzem eingetroffene Kaufleute

    boten ihre Waren auf dem Marktplatz feil. So unglaublich esauch scheinen mochte: DieAssyrer hatten die Strae nicht geschlossen, die das ganze Taldurchschnitt. Die Kaufleute waren immer noch mit ihren Warenunterwegs und zahlten der Stadt Wegzoll.

    Warum schlieen sie die Strae nicht, obwohl sie einegewaltige Streitmacht zusammengezogen haben? wollte Eliawissen.

    Das assyrische Reich braucht die Erzeugnisse, die in denHfen von Sidon und Tyrus ankommen, antwortete derStadthauptmann. Die Lieferungen wrden unterbrochen, wenndie Kaufleute bedroht werden. Und die Folgen wren schlimmerals eine militrische Niederlage. Es mu eine Mglichkeitgeben, den Krieg zu verhindern.Ja, sagte Elia. Wenn sie Wasser haben wollen, knnten wires verkaufen.

    Der Stadthauptmann sagte nichts. Doch er begriff, da er denIsraeliten als Waffe gegen die benutzen konnte, die den Kriegwollten. Er war auf den Gipfel des Fnften Berges gestiegenund hatte den Gttern getrotzt. Und wenn der Priester weiterdarauf beharren wrde, gegen die Assyrer zu kmpfen, wreElia der einzige, der ihm die Stirn bieten knnte. Er schlug vor,miteinander einen Spaziergang zu machen, damit sie sichetwas unterhielten.

    Der Priester blieb oben stehen und beobachtete den Feind.

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    die Erde erschaffen, wo sie sie aussetzen, berwachen unddafr sorgen konnten, da sie nie vergaen, da sie denBewohnern des Fnften Berges weit unterlegen waren.

    Sie sahen jedoch davon ab, den Menschen die Tr auf ewig zuverschlieen. Wenn die Menschheit auf dem Pfad der Tugendwandelte, wrde sie eines Tages wieder auf den Gipfel desBerges zurckkehren. Damit dieser Gedanke nicht vergessenwurde, beauftragten die Gtter die Priester und dieRegierenden damit, sie in der Vorstellung lebendig zu erhalten.

    Alle Vlker teilten denselben Glauben: Wenn die von denGttern gesalbten Familien sich von der Macht entfernten,

    waren die Folgen katastrophal. Niemand erinnerte sich mehrdaran, weshalb diese Familien erwhlt worden waren, doch allewuten, da sie mit den gttlichen Familien verwandt waren.Akbar bestand schon Hunderte von Jahren, und immer hattedie Familie des Stadthauptmanns regiert. Es war oftmalseingenommen und von Diktatoren und Barbaren beherrschtworden, doch immer waren die Invasoren mit der Zeit entwedervon selbst wieder gegangen oder vertrieben worden. Die alteOrdnung wurde wiederhergestellt, und die Menschen fhrten ihr

    Leben weiter wie zuvor.Es war die Pflicht der Priester, diese Ordnungaufrechtzuerhalten: Die Welt besa ein Schicksal und unterlagGesetzen. Die Zeit, in der man versuchte, die Gtter zuverstehen, war lngst vorber. Jetzt herrschte das Zeitalter, indem sie respektiert wurden und alles getan wurde, was siewollten. Sie waren launisch und leicht zu erzrnen.

    Ohne die Ernterituale gab die Erde keine Frchte. Ohne dieentsprechenden Opfer wurde die Stadt von tdlichenKrankheiten heimgesucht. Wenn man den Wettergott reizte,hrten Getreide und Menschen auf zu wachsen.Sieh den Fnften Berg, sagte der Priester zumKommandanten. Von seinem Gipfel aus beherrschen dieGtter das Tal und beschtzen uns. Sie haben einen ewigenPlan fr Akbar. Der Fremde wird gettet werden oder in seinLand zurckkehren, der Stadthauptmann wird eines Tages

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    sterben, und sein Sohn wird weiser sein als er. Was wir jetzterleben, geht vorber.

    Wir brauchen einen neuen Stadthauptmann, sagte der

    Kommandant. Verbleiben wir in den Hnden dieses Mannes,werden wir alle zerstrt werden.Der Priester wute, da dies der Gtter Wille war, um derBedrohung durch die Schrift von Byblos ein Ende zu bereiten.Doch er sagte nichts. Er freute sich, weil er wieder einmalfeststellte, da die Regierenden immer das Schicksal desUniversums erfllten - ob sie wollten oder nicht.Elia spazierte durch die Stadt, erklrte dem Stadthauptmann

    seine Friedensplne und wurde zu dessen Helfer ernannt. Alssie in der Mitte des Platzes angelangt waren, nherten sicherneut Kranke, doch er sagte, da die Gtter vom FnftenBerge ihm untersagt htten, zu heilen. Gegen Abend kehrte erin das Haus der Witwe zurck. Das Kind spielte mitten auf derStrae, und er dankte dafr, das Werkzeug fr ein Wunder desHerrn gewesen zu sein.Sie erwartete ihn zum Abendessen. Zu seiner berraschung

    stand Wein auf dem Tisch.Die Leute haben Geschenke fr Euch gebracht, um Euch eineFreude zu machen, sagte sie. Und ich mchte Euch umVergebung bitten, da ich so ungerecht war.

    Inwiefern ungerecht? wunderte sich Elia. Seht Ihr dennnicht, da alles zum Ratschlu Gottes gehrt?

    Die Witwe lchelte, ihre Augen leuchteten, und er bemerkte,wie schn sie war. Sie war mindestens zehn Jahre lter als er,

    doch er empfand eine tiefe Zrtlichkeit fr sie. Es war einungewohntes Gefhl und es machte ihm angst. Er erinnertesich an Isebels Augen und seine Bitte an Gott, ihm eineLibanesin zur Frau zu geben.

    Obwohl mein Leben unntz war, habe ich zumindest meinenSohn. Und seine Geschichte wird nie vergessen werden, denner kam aus dem Reich der Toten zurck, sagte die Frau.

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    Euer Leben ist nicht unntz. Ich kam auf Gehei des Herrnnach Akbar, und Ihr habt mich aufgenommen. Wenn dieGeschichte Eures Sohnes nicht vergessen werden wird, so wird

    gewi auch Eure Geschichte nicht vergessen werden.Die Frau fllte die beiden Glser. Sie tranken auf die Sonne, diesich verbarg, und auf die Sterne am Himmel.

    Ihr kamt aus einem fernen Land, folgtet den Zeichen einesGottes, den ich nicht kannte. Doch jetzt ist Er auch mein Herr.Mein Sohn ist aus einem fernen Land zurckgekommen, und erwird seinen Enkeln eine schne Geschichte zu erzhlen haben.Die Priester werden seine Worte aufnehmen und sie an die

    kommenden Generationen weitergeben.Die Stdte kannten ihre Geschichte, ihre Eroberungen, ihrealten Gtter, die Krieger, die das Land mit ihrem Blut verteidigthatten, aus der berlieferung der Priester. Auch wenn es jetztneue Formen gab, um die Vergangenheit festzuhalten, war dieErinnerung der Priester das einzige, an das die Bewohner vonAkbar glaubten. Jeder kann schreiben, was er will, dochniemand kann sich an etwas erinnern, das es nie gegeben hat.

    Und was werde ich zu erzhlen haben? fuhr die Frau fort.Ich habe weder Isebels Macht noch ihre Schnheit. MeinLeben gleicht den anderen. Meine Heirat wurde von meinenEltern arrangiert, als ich noch ein Kind war. Die Hausarbeit, alsich erwachsen wurde, die Riten an den heiligen Tagen, derEhemann, der immer anderweitig beschftigt war. Solange erlebte, haben wir nie ber etwas Wichtiges gesprochen. Er lebtefr seine Geschfte, und ich kmmerte mich um den Haushalt,und so haben wir die besten Jahre unseres Lebens verbracht.Nach seinem Tode blieben mir nur die Armut und die Erziehungmeines Sohnes. Wenn er erwachsen ist, wird er ber die Meerefahren, und ich werde fr niemanden mehr wichtig sein. Ichhabe

    weder Ha noch Groll, ich bin mir nur meiner Nutzlosigkeitbewut.

    Elia schenkte sich ein zweites Glas ein. Sein Herz begannAlarmsignale auszusenden. Es gefiel ihm, bei dieser Frau zu

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    sein. Die Liebe konnte eine erschreckendere Erfahrung sein,als vor einem Soldaten Ahabs zu stehen, der mit einem Pfeilauf sein Herz zielte. Wenn der Pfeil ihn traf, war er tot. Wenn

    ihn jedoch die Liebe trfe, mte er die Folgen tragen.>Ich habe mich immer nach Liebe gesehntIch wrde ihr das so gern sagenDoch ich weinicht wie. Es ist einfacher, von der Liebe Gottes zu sprechen.Er ist ein Prophet. Er liest in meinem Herzens dachte sie.

    Seit der Israelit in ihr Leben getreten war, hatte sich allesverndert. Sogar die Armut war leichter zu ertragen, denndieser Fremde hatte etwas in ihr geweckt, das sie zuvor nichtgekannt hatte: die Liebe. Als ihr Sohn krank geworden war,

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    hatte sie gegen ihre ganze Nachbarschaft gekmpft, um denFremden bei sich im Haus zu behalten.

    Sie wute, da fr ihn von allem, was unter dem Himmel

    geschah, der Herr am wichtigsten war. Ihr war bewut, da erein unerreichbarer Traum war, denn dieser Mann vor ihr konnte jeden Moment weggehen, Isebels Blut vergieen und niemalszurckkehren, um ihr zu berichten, was geschehen war.

    Dennoch wrde sie ihn weiter lieben, weil sie zum ersten Mal inihrem Leben erfahren hatte, was Freiheit war. Sie konnte ihnlieben, selbst wenn er es niemals erfahren sollte. Sie brauchtenicht seine Erlaubnis, um sich nach ihm zu sehnen, den ganzen

    Tag an ihn zu denken, ihn zum Abendessen zu erwarten undsich zu ngstigen, was fr ein Komplott wohl gegen ihn imGange war.

    Dies war die Freiheit: fhlen, was ihr Herz begehrte, egal wasdie anderen davon halten mochten. Sie hatte schon mit

    Freunden und Nachbarn ber die Anwesenheit des Fremden inihrem Hause gekmpft. Gegen sich selbst brauchte sie nicht zukmpfen.

    Elia trank etwas Wein, entschuldigte sich und ging in seinZimmer. Sie trat hinaus, freute sich an ihrem Sohn, der vor demHause spielte, und beschlo, einen kurzen Spaziergang zumachen.

    Sie war frei, denn die Liebe befreit.Elia starrte lange auf die Wand in seinem Zimmer. Dann endlichbeschlo er, seinen Engel anzurufen.Meine Seele ist in Gefahr, sagte er.

    Der Engel schwieg. Elia wute nicht recht, ob er das Gesprchfortsetzen sollte, doch nun war es bereits zu spt: Er konnte ihnnicht grundlos anrufen.Wenn ich vor dieser Frau stehe, fhle ich mich nicht wohl.

    Ganz im Gegenteil, antwortete der Engel. Und das machtdich unsicher. Du knntest sie am Ende lieben.

    Elia schmte sich, weil der Engel seine Seele kannte.

    Die Liebe ist gefhrlich, sagte er.

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    Sehr gefhrlich, antwortete der Engel. Und wenn schon!

    Dann verschwand er.Sein Engel war nicht von den Zweifeln geplagt, die seine Seele

    bestrmten. Ja, er kannte die Liebe. Er hatte gesehen, wie derKnig von Israel seinen Gott wegen Isebel aufgegeben hatte,wegen einer Prinzessin aus Sidon, die sein Herz erobert hatte.Die Tradition berichtete, da KnigSalomo seinen Thron wegen einer fremdlndischen Frauverloren hatte. Knig David hatte einen seiner besten Freundein den Tod geschickt, weil er sich in seine Frau verliebt hatte.Dalilas wegen war Samson gefangengenommen worden und

    hatten die Philister ihm die Augen ausgestochen.Wie konnte er da die Liebe nicht kennen? Die Geschichte warvoll von tragischen Beispielen, auch unter seinen Freunden -und den Freunden seiner Freunde -, die nchtelang gewartetund gelitten hatten. Htte er in Israel eine Frau, so htte erseine Stadt kaum verlassen, als es ihm der Herr befahl, und erwre jetzt tot.

    >Ich kmpfe eine nutzlose SchlachtDie Liebe

    wird diesen Kampf gewinnen, und ich werde sie bis ans Endemeiner Tage lieben. Herr, schick mich wieder zurck nachIsrael, damit ich dieser Frau niemals sagen mu, was ich fr sieempfinde. Denn sie liebt mich nicht und wird mir sagen, da ihrHerz mit dem ihres heldenhaften Mannes begraben wurde.Und ichkann meine Liebe zu ihr besser unter Kontrolle behalten

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    Das Gericht des Volkes hatte ein zahlreiches undaufmerksames Publikum bekommen. Die Leute strmtenherbei: Viele alte Leute waren darunter, die nicht mehr drauen

    aufden Feldern arbeiten konnten und nun herkamen, um dieRichtsprche Elias abwechselnd zu beklatschen undauszubuhen; andere waren am Schiedsspruch direktinteressiert, weil er entweder Profit oder einen Verlust fr siebedeutete; auch Frauen und Kinder fanden sich ein, die keineArbeit hatten und so die Zeit totschlugen.Elia legte kurz die Flle dar, die an diesem Morgen anstanden:

    Der erste Fall war der eines Hirten, der von einem Schatztrumte, welcher in der Nhe der Pyramiden versteckt lag, undder Geld brauchte, um dahin zu gelangen. Elia war nie ingypten gewesen, doch er wute, da es weit weg lag, undsagte dem Hirten, da er die Mittel fr die Reise kaumzusammenbekommen wrde - es sei denn, er verkaufte seineSchafe und bezahlte den Preis fr seinen Traum: Dann wrdeer ganz gewi finden, was er suchte. Anschlieend kam eineFrau, die die magischen Knste Israels lernen wollte. Elia

    sagte, er sei kein Meister der Magie, sondern nur ein Prophet.Er war gerade dabei, eine gtliche Lsung fr einen Streitzwischen zwei Bauern zu finden, von denen der eine die Fraudes anderen verflucht hatte, als ein Soldat sich durch dieMenge drngte und sich schweigebadet an denStadthauptmann wandte:Einer Patrouille ist es gelungen, einen Spion zu fangen,keuchte der Soldat. Er wird gerade hierhergefhrt.Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Es war das erste Mal,da sie einen solchen Proze miterleben wrden.Ttet ihn, rief jemand. Tod dem Feind!

    Johlender Beifall von allen Seiten. In Windeseile hatte sich dieNachricht in der ganzen Stadt verbreitet, und alles

    strmte auf den Platz. Die nchsten Flle konnten nicht mehrrichtig angehrt und behandelt werden. Stndig gab es

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    Warum habt Ihr das mit dem Gefangenen gemacht?herrschte der Stadthauptmann sie an.

    Er hat sich gewehrt, antwortete einer der Wchter. Er sagte,

    er sei kein Spion, sondern hierhergekommen, um mit Euch zusprechen.Der Stadthauptmann lie drei Sthle aus seinem Palastbringen. Seine Diener brachten den Richtermantel, den eranlegte, wenn der Rat von Akbar zusammentrat.

    Er und der Priester setzten sich. Der dritte Stuhl war fr denKommandanten bestimmt.

    Hiermit erklre ich feierlich das Gericht von Akbar fr erffnet.

    Die ltesten mgen nher treten.Eine Gruppe betagter Mnner trat zu den beiden und stelltesich im Halbkreis hinter die drei Sthle. Das war der

    ltestenrat. Einstmals war ihr Ratschlu befolgt worden,inzwischen jedoch war ihre Rolle rein formell und bestand darin,die Entscheidungen des Stadthauptmanns zu besttigen.

    Der Stadthauptmann brachte zuerst die rituellen Formalittenhinter sich - die Gtter vom Fnften Berg wurden angerufen, dieNamen der legendren Helden von Akbar feierlich verlesen -,dann wandte er sich an den Gefangenen.

    Was wollt Ihr? fragte er.Der Gefangene gab keine Antwort, musterte ihn nurunverhohlen, wie von gleich zu gleich.

    Was wollt Ihr? beharrte der Stadthauptmann.

    Der Priester berhrte seinen Arm.

    Wir brauchen einen Dolmetscher. Er spricht unsere Sprachenicht.Einer der Wchter wurde beauftragt, einen Kaufmann zu holen,der fr sie dolmetschen sollte. Die Kaufleute nahmen nie anElias Sitzungen teil, da sie zu sehr mit ihren Geschftenbeschftigt waren und damit, ihren Gewinn zu zhlen.

    Whrend sie warteten, flsterte der Priester demStadthauptmann zu:

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    Sie haben den Gefangenen geschlagen, weil sie sichfrchteten. Erlaubt, da ich diese Verhandlung fhre, und sagtnichts. Panik macht nur alle aggressiv, und wenn wir nicht die

    ntige Autoritt zeigen, knnte uns die Situation entgleiten.Der Stadthauptmann schwieg. Auch er frchtete sich. Er suchteElia mit den Augen, doch von dort, wo er sa, konnte er ihnnicht sehen.

    Ein Kaufmann wurde gewaltsam von einem Wchterherbeigefhrt. Er beschwerte sich beim Gericht, er sei sehrbeschftigt und knne hier nicht seine Zeit vertun. Doch derPriester blickte ihn nur streng an und gebot ihm, ruhig zu sein

    und das Gesprch zu bersetzen.Was wollt Ihr hier? fragte der Stadthauptmann.

    Ich bin kein Spion, sagte der Mann. Ich bin einer derGenerle des Heeres. Ich bin gekommen, um mit Euch zusprechen.

    Das Publikum, das zuerst totenstill gewesen war, begannhemmungslos zu schreien, sobald der Satz bersetzt wordenwar. Sie bezichtigten den Assyrer der Lge und forderten die

    sofortige Todesstrafe.Der Priester bat um Ruhe und wandte sich an den Gefangenen.Was wolltet Ihr bereden?

    Es heit, der Stadthauptmann sei ein weiser Mann, sagte derAssyrer. Wir wollen diese Stadt nicht zerstren. Wir sind anTyrus und Sidon interessiert. Doch Akbar liegt auf halbem Wegund kontrolliert dieses Tal. Wenn wir kmpfen mssen, werdenwir Zeit und Mnner verlieren. Ich bin gekommen, um einenVertrag abzuschlieen.>Der Mann spricht die Wahrheit

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    Fahrt fort, sagte der Stadthauptmann.

    Wieder schaltete sich der Priester ein:Unser Stadthauptmann ist ein guter Mann, der kein Blut

    vergieen will. Doch wir befinden uns im Krieg, und derGefangene, der hier vor euch steht, ist ein Feind!

    Er hat recht! schrie jemand aus dem Publikum.Elia merkte, da er sich geirrt hatte. Der Priester wiegelte dasPublikum auf, whrend der Stadthauptmann nur Rechtsprechen wollte. Er versuchte sich zu nhern - doch ein Soldatstie ihn an und packte ihn am Arm.

    Ihr wartet hier. Schlielich war das ja Eure Idee.Elia blickte sich um: Es war der Kommandant, und er lchelte.

    Wir knnen auf Euren Vorschlag nicht eingehen, fuhr derPriester fort, whrend er sein Gefhl in Gesten und Worteflieen lie. Wenn wir uns zu Verhandlungen bereit erklren,zeigen wir nur, da wir Angst haben. Und das Volk von Akbarist mutig. Es kann jeder Invasion widerstehen.Dieser Mann will Frieden, sagte der Stadthauptmann, indem

    er sich an die Menge wandte.Jemand sagte:

    Die Kaufleute wollen Frieden. Die Priester wollen Frieden. DieRegierenden verwalten den Frieden. Doch das Heer will nureins: Krieg!

    Seht ihr denn nicht, da wir der religisen Bedrohung durchIsrael ohne Krieg begegnen? rief der Stadthauptmann aus.Wir schicken keine Soldaten, keine Schiffe, sondern Isebel.

    Jetzt beten sie Baal an, ohne da wir einen einzigen Mann ander Kriegsfront opfern muten.

    Die Assyrer haben keine schne Frau geschickt, sondern ihreKrieger! rief der Priester noch lauter.

    Das Volk verlangte den Tod des Assyrers. Da packte derStadthauptmann den Priester am Arm.

    Setzt Euch, sagte er. Ihr geht zu weit.

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    Die Idee mit dem ffentlichen Richtspruch war Eure Idee.Oder besser gesagt, die Idee des verrterischen Israeliten, derhier anstelle des Stadthauptmanns von Akbar zu bestimmen

    scheint.Um ihn kmmere ich mich spter. Jetzt mssen wir erfahren,was der Assyrer will. Viele Generationen hindurch haben dieMenschen versucht, ihren Willen mit Gewalt durchzusetzen. Siesagten, was sie wollten, es war ihnen gleichgltig, was das Volkdachte, und alle diese Reiche wurden am Ende zerstrt. UnserVolk ist gewachsen, weil es gelernt hat zuzuhren. Indem wirhrten, was der andere wollte, und alles daransetzten, um esihm zu verschaffen, haben wir den Handel entwickelt. Und dasErgebnis ist der Gewinn.Der Priester wiegte das Haupt.

    Eure Worte erscheinen weise, doch gerade dadurch sind siegefhrlich. Wenn Ihr Unsinn geredet httet, wre es einfach zubeweisen, da Ihr Unrecht habt. Doch Eure Behauptungen sindirrefhrend.Nun mischten sich die Leute in der ersten Reihe in den Streit

    ein. Bis zu jenem Augenblick hatte der Stadthauptmann immerauf die Meinung des Rates gehrt, und Akbar hatte einenausgezeichneten Ruf. Tyrus und Sidon hatten Botschaftergeschickt, die sich ansehen sollten, wie die Stadt verwaltetwurde. Sein Name kam sogar dem Knig zu

    Ohren, und mit ein wenig Glck wrde er seine Tage alsMinister bei Hofe beenden.

    Seine Autoritt war ffentlich in Frage gestellt worden, und

    wenn er sich nicht wehrte, verlre er die Achtung des Volkesund knnte dann wichtigere Entscheidungen erst recht nichtdurchsetzen.Fahrt fort, sagte er zum Gefangenen; geflissentlich bersaher die wtenden Blicke des Priesters und befahl demDolmetscher, seine Frage zu bersetzen.

    Ich bin gekommen, um Euch einen Handel vorzuschlagen,sagte der Assyrer. Ihr lat uns durchziehen und wir werden

    gegen Tyrus und Sidon marschieren. Wenn diese Stdte

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    Glaubt mir, Stadthauptmann: Ihr habt keine Wahl,entgegnete der Gefangene. Wir haben gengend Mnner, umdiese Stadt dem Erdboden gleich zu machen und alle

    Bewohner zu tten. Ihr lebt seit langem schon im Frieden undwit nicht mehr, wie man kmpft, whrend wir gerade die Welterobern.Das zornige Murren schwoll wieder an. >Jetzt nur keineUnsicherheit zeigen

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    Klacken der gegeneinander schlagenden Steine undFelsbrocken. Der Priester fuhr fort:

    Es mag eine Fehlentscheidung von mir sein, diesen Mann

    zum Tod zu verurteilen. Doch was die Ehre unsrer Stadt betrifft,habe ich keine Zweifel. Wir sind keine Feiglinge.Der Stadthauptmann hob die Hand und warf den Stein. DerGefangene duckte sich. Die Menge schrie auf. Dann regnete esSteine von allen Seiten.

    Der Mann versuchte, sein Gesicht mit den Armen zu schtzen,und die Steine trafen seine Brust, seinen Rcken, seinenMagen. Der Stadthauptmann wollte gehen: Er hatte schon fter

    Steinigungen beigewohnt und wute, da der Tod langsam undschmerzvoll sein wrde, da das Gesicht zu einem Brei ausKnochen, Haar und Blut werden wrde

    und da die Leute auch dann noch weiter Steine werfenwrden, wenn der Krper lngst leblos dalag.

    In wenigen Minuten wrde der Gefangene aufgeben und dieArme senken. War er in seinem Leben ein guter Menschgewesen, so wrden die Gtter einen Stein so lenken, da

    dieser seine Stirn traf und er ohnmchtig umsank. War er eingrausamer Mensch gewesen, so bliebe er bis zur letzten Minutebei Bewutsein.Die Menge schrie, wurde immer grausamer, warf die Steineimmer heftiger, und der Verurteilte versuchte sie so gut wiemglich abzuwehren. Dann pltzlich breitete er die Arme ausund sprach in einer Sprache, die alle verstehen konnten undmitten in ihrer Bewegung innehalten lie:

    Es lebe Assyrien! rief er. Jetzt blicke ich zu meinem Volkund sterbe froh, weil ich als General sterbe, der versucht hat,das Leben seiner Krieger zu retten. Die Gtter werden mich beisich aufnehmen, und ich sterbe im Vertrauen darauf, da wirdiese Erde erobern werden!Seht Ihr? sagte der Priester. Er hat unser ganzes Gesprchund unsere ganze Verhandlung mit angehrt!

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    Der Stadthauptmann mute ihm recht geben. Der Mann sprachihre Sprache und wute jetzt, da im Rat von Akbar Uneinigkeitherrschte.

    Ich bin nicht in der Hlle, weil das Angesicht meines Landesmir Wrde und Kraft verleiht. Das Angesicht meines Landesgibt mir Freude! Es lebe Assyrien! schrie der Verurteilteabermals.

    Nachdem das Volk sich von seinem Schrecken erholt hatte,setzte der Steinhagel wieder ein. Der Mann hielt die Armeausgebreitet, schtzte sich nicht mehr - er war ein tapfererKrieger. Sekunden spter erbarmten sich die Gtter, ein Stein

    traf ihn an der Stirn, und er wurde ohnmchtig.Wir knnen jetzt gehen, sagte der Priester. Das Volk vonAkbar wird seine Aufgabe zu Ende bringen.

    Elia ging nicht zum Haus der Witwe zurck, sondern hinaus indie Wste, in der er ziellos umherwanderte.

    Der Herr hat nichts getan, sagte er zu den Pflanzen undFelsen. Und er htte etwas tun knnen.

    Er bereute seine Entscheidung, weil er meinte, da

    seinetwegen schon wieder jemand sterben mute. Wre er aufden Vorschlag des Priesters eingegangen, den Rat von Akbarhinter verschlossenen Tren tagen zu lassen, htte derStadthauptmann ihn mitnehmen knnen. Sie wren dann gegenden Priester und den Kommandanten zwei gegen zweigewesen. Sie htten wohl immer noch wenig Chancen gehabt,sich durchzusetzen, aber doch mehr als bei einem ffentlichenRichtspruch. Schlimmer noch: Es hatte ihn beeindruckt, wie der

    Priester die Menge angesprochen und gelenkt hatte. Was derPriester gesagt hatte, gefiel ihm gar nicht, zumal er in ihm jemanden vor sich hatte, der die Massen gefgig zu machenwute. Er wrde versuchen, sich das Schauspiel in allenEinzelheiten einzuprgen, damit er es prsent htte, wenn erdereinst nach Israel zurckkehrte und dem Knig und seinerKnigin gegenberstand.

    Ziellos wanderte Elia weiter, blickte auf die Berge, zur Stadt und

    hinaus zum Feldlager der Assyrer. Er war nur ein Punkt in

  • 8/14/2019 Deutsch - Der Funfte Berg - Paulo Coelho

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    diesem Tal, und um ihn herum breitete sich eine unendlicheWelt, so gro und weit, da er ein Leben lang

    unterwegs sein und doch nie ans Ende gelangen knnte. Seine

    Freunde wie auch seine Feinde verstanden vielleicht die Welt,in der sie lebten, besser. Sie konnten in ferne Lnder reisen,unbekannte Meere befahren, mit gutem Gewissen eine Fraulieben. Keiner von ihnen hrte noch die Engel der Kindheit oderkmpfte gar im Namen des Herrn. Sie lebten in der Gegenwartund waren glcklich dabei.

    Er war auch nur ein Mensch wie alle anderen - und in diesemAugenblick, da er durch das Tal wanderte, wnschte er mehr

    denn je, die Stimme des Herrn und seiner Engel nievernommen zu haben. Doch das Leben besteht nicht ausWnschen, sondern aus den Taten eines jeden einzelnen. Wieoft hatte er schon versucht, seine Mission aufzugeben, unddennoch war er jetzt hier in der Wste, weil der Herr es sowollte.

    Mein Gott, dabei knnte ich einfach nur Tischler sein und soDeinem Werk dienen.

    Doch Elia tat wie geheien, und er trug schwer an dem sichabzeichnenden Krieg, an dem Massaker Isebels an denPropheten, der Steinigung des assyrischen Generals und anseiner Angst vor der Liebe zu einer Frau aus Akbar. Der Herrhatte ihn beschenkt, doch Elia wute nicht, was er mit demGeschenk anfangen sollte.Dann, mitten im Tal, erschien das Licht. Es war nicht seinSchutzengel, den er sonst immer hrte und selten sah. Es war

    ein Engel des Herrn, der kam, um ihn zu trsten.Ich kann hier nichts mehr tun, sagte Elia. Wann werde ichnach Israel zurckkehren?Wenn du gelernt hast, wieder aufzubauen, antwortete derEngel. Doch denk an das, was Gott Mose vor einemKampf gelehrt hat. Geniee jeden Augen